Immer wenn ich ruhig bleibe, stirbt Jesus auch durch mich! (13.12.1999 Andreas Weber)
Ich stehe in einer Menschenmenge. Kurz vorm Fest soll uns noch 'was geboten werden. Unser Statthalter gibt jedes Jahr zum Fest einen Gefangenen frei. Die Menge scheint schon entschieden, wir wollen Barabbas. Ich denke mir noch, dem anderen war ich Monate lang auf Schritt und Tritt gefolgt. Er hatte uns gelehrt, Gottes Gebote zu halten und einander zu lieben. Er konnte sogar viele Wunder tun, Leute heilen und so. Und jetzt steht er da und sagt nix.
Wieder schreit die Menge "Barabbas". Barabbas tritt für seine Überzeugung ein und kämpft an vorderster Front. Jetzt steht er schon siegesgewiß da. Ein toller Typ. Der wird uns noch viel helfen.
Der andere wäre Gottes Sohn. Aber ließe Gott dann solch eine Behandlung zu? Klar, tolle Sprüche. Hatte schon was göttliches. Aber kann man das auch hier in der Welt umsetzen? Wir leben schließlich in der Realität. Erst müssen wir mal die Römer loswerden, dann können wir uns um höhere Dinge kümmern.
"Barabbas, Barabbas" schreien die anderen.
Irgendwie sehen die aber nicht so liebevoll aus, wie Jesus uns das gesagt hatte. Klar lieben wir Barabbas. Einer von uns. Irgendwie habe ich ein komisches Gefühl. Was, wenn's doch Gottes Sohn ist? Naja, ich hab' ja noch nix gemacht. Ich stehe nur dabei und gucke mal, was hier so los ist.
Da steht einer. Der schreit auch nicht so laut, "Wäre es nicht besser Jesus zu befreien?" frage ich. Ein hilfloser Blick, vermutlich ähnliche Gedanken, aber "Der kann sich doch selbst helfen!" die Antwort. Stimmt, als Sohn Gottes. Gleich kommen bestimmt eine Schar Engel und befreien ihn. Das will ich seh'n. Das wird bestimmt toll. Endlich ein richtiger Beweis. Also, gleich wird's spannend.
Der Statthalter hat sich entschieden. Barabbas werden die Ketten gelöst und er ist frei. Verschwindet schnell in der Menge. "Was soll nun aus dem anderen werden?" fragt der Statthalter. "Kreuzigen" schreit die Menge.
O-oh, der hat doch nix getan. Aber dann kommen bestimmt die Engel und helfen ihm. Sowas kann sich doch der Sohn Gottes nicht gefallen lassen. "Kreuzigen" wird geschrien.
Geht das nicht doch ein bisschen zu weit? Wir waren schließlich Freunde. Manchmal hatte er auch Zeit für mich und wir haben gesprochen. Seine Worte haben immer geholfen. Mit meinen Eltern gibt's jetzt weniger Streit.
Was mach ich nur? Er guckt genau in meine Richtung. Sieht er mich? Ich gucke lieber auf den Boden und stelle mich hinter einen anderen. Kennt er meine Gedanken? Gottes Sohn? Was mach ich nur? Bloß weg. Dann kann er mich wenigstens nicht sehen.
Huch, wo ist er denn? Ach da, die Wache führt ihn ab. Ein Glück, es ist vorbei. Lange hätte ich das nicht mehr ausgehalten. Was hät' man denn als einzelner machen können? Der Staat macht eh was er will. Aber als er mich ansah, da hätte ich schon gern gesagt, "Hey, ich hab's versucht." Vielleicht hät's 'n paar Schläge gegeben, aber wenn ich dann ruhig gewesen wär, hätten die bestimmt von mir abgelassen.
Ah, die Menge löst sich auf. Jetzt geht's nach Hause. Essen ist bestimmt schon fertig. Was sollte's denn geben?
Aber das werde ich wohl nie erfahren, denn ich wache auf. Vorm Fernseher eingeschlafen. Interessanter Traum.
Ist Jesus durch mich gestorben? Sieht so aus. Ich hab's jedenfalls nicht verhindert.
Aber heute könnte mir das nicht passieren.
Oh, Spätnachrichten. Mal seh'n, was passiert ist. Erdbeben in der Türkei. Viele sind gestorben, aber was bauen die auch so schlecht. Man muß sich schon überlegen, wo man lebt. Ein Ausländer wurde verprügelt. Wer weiß, was der vorher gemacht hat. Prozess gegen einen Vergewaltiger. Der ist ja eh bald wieder draußen. Kinderpornoring aufgeflogen. Ih - da guck ich lieber nicht hin. Ist ja eklig. Die Steuern sollen steigen. Also jetzt hört's mir aber auf. Wir zahlen doch schon genug Steuern. Was macht denn der Staat? Ich brauche doch mein Geld. Also nein. Jetzt reg' ich mich noch auf. Da kann ich nachher nicht schlafen.
Also, lieber Fernseher aus, Zähneputzen, ab ins Bett. Beim Zähneputzen fängt's an. Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst. Jesus' trauriger Blick fällt mir wieder ein. Er war nicht traurig, dass er gefangen war. Er wusste ja schon, was er durchmachen musste. Er war traurig, dass ich nix getan habe. Vielleicht hätte ich die Umkehr der Menge geschafft. Der Engel, der Jesus rettet. Naja, natürlich nicht, denn die Prophezeiung musste ja erfüllt werden. Aber ich habe mir alles schöngeredet. Nichts an mich 'rangelassen. Jesus ist durch mich gestorben. Heute wieder. Ich bin traurig. Es gibt so viel Leid und ich sorge mich um's Essen.
Matthäus 25:37-39 "Dann werden diese Gerechten fragen: ›Herr, wann haben wir dich jemals hungrig gesehen und dir zu essen gegeben? Wann sahen wir dich durstig und haben dir zu trinken gegeben? Wann warst du ein Fremder und wir haben dir Gastfreundschaft erwiesen? Oder wann warst du nackt und wir haben dich gekleidet? Wann haben wir dich je krank oder im Gefängnis gesehen und haben dich besucht?‹"
Ich habe meinen Herrn wirklich nicht gesehen und habe auch nix gemacht. Jesus ist wieder durch mich gestorben. Was soll ich tun? Wo soll ich anfangen?
Da fällt mir Petrus ein und die anderen Jünger. Die waren auch bei der Menge. Jesus hat ihnen verziehen. Er kann auch mir verzeihen. "Jesus komm, sei mein Herr und zeig mir deinen Weg. Laß mich Dein Wort verstehen und hilf mir, Dir zu folgen. Laß mich meine Sünden erkennen, damit ich sie verhindern kann. Bitte rechne meine Sünden nicht an und vergib mir. Gib mir die Kraft für dich aufzustehen und für den Heiligen Geist einzutreten. Laß mich harte aber liebevolle Worte für die sprechen, die deine Gebote nicht halten. Gottes Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Amen!"